Oberliga

Allen Warnungen und Ansprachen zum Trotz: Unglaublicher „FC Netzbandt“ zerschießt Paloma!

20. April 2024, 19:29 Uhr

Die Spieler des FC Türkiye feiert Michel Netzbandt (2. v. li.) und Vitor Branco (Mi.) nach dem toll herausgespielten Treffer zum 3:1 direkt nach der Pause. Foto: Hellwig/USC Paloma

„Das Ärgerliche ist, dass ich merke, dass ich jetzt gerade wieder in meine alte Form zurückkomme und mit der Schulter langsam wieder alles bei 100 Prozent ist“, trauerte Michel Netzbandt unter der Woche im Gespräch mit uns der verlorenen Zeit hinterher, die ihn so lange außer Gefecht setzte – und sicherlich auch mit dafür sorgte, dass sein FC Türkiye überhaupt so tief im Abstiegsstrudel steckt. Dass eben jene Aussage keine leeren Worte waren, untermauerte die „Tormaschine“ der Wilhelmsburger am Samstagnachmittag in eindrucksvoller Art und Weise: Im Heimspiel gegen Pokal-Finalist USC Paloma (alle Highlights im LIVE-Ticker) gelangen Netzbandt sage und schreibe vier Buden – die zwei weiteren Treffer seines Teams bereitete er „mustergültig“ vor!

Der ebenfalls ganz starke Luis Hacker (Mi.) bremst Palomas Malik Kramer (li.) mit vollem Einsatz aus. Foto: Hellwig/USC Paloma

„Ich finde, wir haben das ganze Spiel sehr körperlos verteidigt – gefühlt wie beim Futsal. Und wenn du nicht körperlich verteidigst und einen Netzbandt, vor dem wir warnen und warnen und warnen, schalten und walten lässt, wie er will, und wir begleiten nur – dann ist das schlichtweg viel zu einfach“, war Paloma-Coach Marius Nitsch fassungslos, wie leicht es seine Mannen dem gefährlichsten Spieler des FC Türkiye machten. „Ich verstehe es auch nicht, weil wir das Ansprechen und sogar sagen, dass wir lieber mal zu zweit draufgehen und stattdessen einen Spieler auf dem Flügel allein lassen.“

Doch die Worte verhallten offenbar komplett – schon beim ersten Netzbandt-Streich. „Wir sichern uns gegenseitig nicht, wir unterstützen uns nicht und lassen ein Eins-gegen-Eins zu, wo ein Zwei-gegen-Eins einfach nur Sinn macht. Das finde ich einfach extrem fahrlässig und ist viel zu einfach“, schimpfte Nitsch. Beraat Sarikaya konnte nach seinem Ballgewinn im Zentrum für den startenden Netzbandt durchstecken. Dieser vollstreckte von halbrechts mit seinem schwächeren rechten Fuß cool ins lange Eck (15.)! Ein Doppeln? Fehlanzeige!

"Super frustriert und sehr enttäuscht"

„Wir sprechen es in der Halbzeit nochmal an, kommen raus – und kriegen das dann noch schlechter verteidigt. Von daher bin ich heute super frustriert und auch sehr enttäuscht von der Mannschaftsleistung.“ Und: Michel machte mit den „Tauben“, was er wollte! Zwar kam der Pokal-Finalist nach einem absoluten Slapstick-Eigentor von Oguz Koras, der nach einer Halbfeld-Flanke von Christian Merkle keinerlei Gegnerdruck hatte und den Ball per Brust zu Keeper Goran Mihailovic zurück bugsieren wollte, der Schlussmann aber aus seinem Kasten kam und das Runde ins eigene Eckige trudelte (20.), zum Ausgleich. Doch mit dem kuriosen Eigentor auf der anderen Seite mit dem Pausenpfiff ging beim USC plötzlich gar nichts mehr.

"Haben uns hingegeben und nicht mehr gewehrt"

In der Anfangsphase musste Türkiye-Torsteher Goran Mihailovic (Mi.) das eine oder andere Mal entschieden eingreifen. Foto: Hellwig/USC Paloma

Diesmal zog Netzbandt einen Freistoß von halbrechts im hohen Bogen auf den zweiten Pfosten, wo mit Luca Albrecht und Marco Schröder allerdings nur zwei Palomaten standen. Diese kamen sich so ins Gehege, dass Albrecht die Kugel in die eigenen Maschen nickte (45. +2)! Und nach Wiederanpfiff öffnete der USC sämtliche Schleusen. „Wir haben uns dem hingegeben, nicht mehr gewehrt und von einer Mannschaft, die will, den Platz noch vor Augen hat, alles dafür gibt, investiert und es auch gut gemacht hat, individuell so abschießen lassen. Das ist schon bitter, weil das unsere höchste Saison-Niederlage ist – und das absolut vermeidbar war“, sprach Nitsch auf die Anfangsphase an.

"Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll – ich komm‘ mir so albern vor!"

Da nämlich erinnerte viel an das Hinspiel vor nicht mal zwei Wochen. Auch der Paloma-Coach sah ein „Déjà-vu mit guten Chancen für uns“. Auch vor dem Anpfiff machte Kapitän Moritz Niemann seine Teamkollegen im Kreis noch einmal heiß: „Wir müssen brennen!“, forderte er lautstark. Und die Einstellung stimmte zunächst auch. Doch in der 57. Spielminute platzte auch dem Captain endgültig der Kragen: „Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll – ich komm‘ mir so albern vor!“, fluchte er – nachdem die Gäste binnen neun Zeigerumdrehungen dreimal hinter sich greifen mussten. Und wie sollte es auch anders sein: Erst veredelte Netzbandt ein perfektes Zuspiel von Vitor Cadilhe Branco (48.), ehe er nach einem langen Ball von Martin Gyameshie die Weiterleitung von Elyesa Pekin trocken einschweißte (54.)!

Netzbandt, Netzbandt – immer wieder Netzbandt! Niemanns Wutausbruch ging die punktgenaue Vorarbeit des 28-Jährigen auf Hasan Karaca voraus. Dieser ließ Jonas Marschner im Tor der „Tauben“ nicht gut aussehen (57.)! Für das halbe Dutzend war der Türkiye-Torjäger dann wieder selbst verantwortlich, als er nach Sarikayas langem Ball ziemlich spielend an Max Grablewski vorbeizog und gegen Marschner erneut einnetzte (65.). Vier Tore, zwei Vorlagen, ein Pfostenschuss – der FC Netzbandt war ein paar Nummern zu groß für Paloma!

"Endlich haben die Jungs das gespielt, was sie können"

Michel Netzbandt (re.) nahm es gefühlt mit allen Palomaten auf - und behielt stets die Oberhand. Die Ausbeute: Vier Tore, zwei Assists! Foto: Hellwig/USC Paloma

„Michel ist unglaublich! Nicht nur wegen seiner Tore, sondern auch wegen seiner Bedeutung für die Mannschaft. Er redet, er pusht, ist 90 Minuten am Ackern – und einfach als Typ unheimlich wichtig für uns“, schwärmte Türkiye-Trainer Benjamin Hübbe nicht nur von Netzbandts Qualitäten als Vollstrecker. „Ich bin überglücklich, dass wir heute abgeliefert haben und auch davon überzeugt, dass wir das weiter tun werden – trotz des dünnen Kaders.“ Mit Tobias Braun, der zur zweiten Halbzeit den angeschlagenen Mihailovic ersetzte, hatten die Wilhelmsburger nur eine Wechseloption auf der Bank. Doch das reichte. „Das ist genau das, was ich schon seit Wochen sage: Endlich haben die Jungs das gespielt, was sie können!“

"Das ist der FC Türkiye, den ich kenne!"

Elyesa Pekin (re.) erzielte per Kopf sogar noch beinahe den siebten Treffer, dem aber die Anerkennung verwehrt blieb. Foto: Hellwig/USC Paloma

Dabei musste Hübbe die Mannschaft vor dem Spiel in der Kabine lautstark bei der Ehre packen – denn: „Das Aufwärmen war nicht so prickelnd“, formulierte er es noch sehr sachlich und zurückhaltend. „Die ersten 20 Minuten waren auch noch nicht so gut. Aber dann sind wir immer besser ins Spiel gekommen und haben es auch endlich mal stark zu Ende gespielt“, erinnerte Hübbe an das 7:4 gegen Düneberg, als seine Elf eine 5:1-Führung fast noch aus der Hand gab. Deshalb habe er sich „selbst beim 4:1 noch nicht gefreut, weil ich mir noch nicht sicher war. Aber die Jungs haben das heute überragend gemacht. Das ist der FC Türkiye, den ich kenne!“

Ein FC Türkiye, der aus den letzten fünf Heimspielen 13 Zähler geholt hat. Und ein FC Türkiye, der angesichts solcher Auftritte unter normalen Umständen nichts mit dem Abstieg zu tun haben dürfte! „Ich bin – und das nicht erst seit heute – felsenfest davon überzeugt, dass wir das sportlich schaffen. Das habe ich der Mannschaft auch immer gesagt und hatte nie Zweifel daran“, so Hübbe. Den Rest entscheidet der Hamburger Fußball-Verband…

Autor: Dennis Kormanjos