„Nach sechs Jahren im Bett einer Frau hüpfst du nicht ins nächste“

„JPR“ schaut nach seinem Abschied vom FC Süderelbe in die Zukunft

25. Mai 2016, 09:49 Uhr

Der Dank an die treuen Anhänger, die ihren FC Süderelbe im Relegations-Rückspiel Anfang Juni 2014 beim USC Paloma (3:1) zum Aufstieg hievten. Foto: noveski.com

Es ist eine Geschichte, die sich wie ein schnulziger Roman der momentanen Bestseller-Autorin Jojo Moyes liest - doch leider ohne großes Happy End. Denn nach einer höchsterfolgreichen sechsjährigen Zusammenarbeit, kehrt das Hamburger Trainerjuwel Jean-Pierre Richter dem FC Süderelbe den Rücken zu und hinterlässt ein riesiges Erbe.

„Hautfarbe und Alter sind egal – es zählte nur die Qualität“

Die Anfänge des jungen Jean-Pierre Richter, der bereits mit 23 Jahren die Herrenmannschaft des FCS übernahm. Foto: noveski.com

Vor sechs Jahren übernahm der damals 23 Jahre junge Richter die „Kiesbargler“. Damals noch als Landesligist und in größter Abstiegsnot, entwickelte der Coach, den es zuvor als Spieler und Jugendtrainer in den Süden Hamburgs zog, ein Konzept und ging auf Spielersuche. Mit 21 Neuzugängen und dem Motto „Hautfarbe und Alter sind egal – es zählt nur die Qualität“, konnte Richter den Abstieg gerade noch abwenden und schaffte es in den Folgejahren, stetig weiter an die Tabellenspitze heranzurücken. Der Aufstieg in die Oberliga in der Saison 2013/14 war schließlich ein weiterer Meilenstein in der jungen Trainerkarriere. „Wir haben den Fußball im Amateurbereich zwar nicht revolutioniert, aber wir haben vieles anders gemacht, wollten immer einen Schritt weiter gehen und hatten eine Mannschaft, die sich individuell auch weiterentwickeln wollte. Aufgrund der Qualität war es ein Stück weit abzusehen, dass es nach oben geht“, so Richter rückblickend. Den Zenit erreichte „Jonny“, wie er von seinen Jungs liebevoll genannt wurde, mit seinen Schützlingen aber in dieser Saison. Mit einem unglaublich starken vierten Tabellenplatz beendete Süderelbe am vergangenen Wochenende die Saison, wo wir uns nach dem „Sixpack-Schützenfest“ gegen Türkiye mit dem scheidenden Coach unterhielten.

„100% Leidenschaft – 100% Zusammenhalt – 6 Jahre Gänsehaut“

War seinen Spielern nicht nur ein guter Trainer, sondern auch ein guter Freund: Hier mit Marcel Rodrigues (r.). Foto: noveski.com

„Während des Spiels hatte ich ein paar Minuten mit den Tränen zu kämpfen“, gestand Jean-Pierre Richter auf der Ersatzbank sitzend und in die feiernde Menge schauend. Grund hierfür war allerdings nicht nur sein allgemeiner Abgang, sondern auch die Verabschiedung vor dem Spiel, als sein Team mit einem zehn Meter langen Banner auf das Spielfeld lief, sich im Halbkreis aufstellte und für die gemeinsame Zeit bedankte. „100% Leidenschaft – 100% Zusammenhalt – 6 Jahre Gänsehaut“ hielten die Spieler, von denen ebenfalls einige mit Blumen und Fotos verabschiedet wurden, stolz vor ihre Körper.

Und genau diese Spieler, die ihrem Coach einen besonderen Abschied bieten wollten, waren es auch, die aus einer 1:0-Halbzeitführung im zweiten Durchgang noch das halbe Dutzend vollmachten, die Ungeschlagen-Serie auf sechs Spiele am Stück ausbauten und so, laut Richter, für einen „brillanten Abschluss“ sorgten.

„Außer Grillen und Getränke ausschenken habe ich alles gemacht"

2014 führte "JPR" seine "Kiesbargler" in die Oberliga. Foto: noveski.com

„Nun ist meine Challenge beendet“, zieht ein, mit dem einen Auge weinender und mit dem anderen Auge freudiger Trainer, einen Schlussstrich. Vor allem, weil „der Aufwand“, den Richter beim FCS betrieben hat, „schon einem 24-Stunden-Job nahe kam, einiges darunter gelitten hat und vieles für den Verein untergeordnet wurde“, möchte der 29-Jährige nun erst einmal tief durchatmen. Wenig später fügte der Erfolgscoach an: „Ich war die Süderelbe-Personalunion, habe mich um die Klamotten gekümmert, den Kader zusammengestellt und selbst die Tornetze musste ich vor dem Spiel noch flicken. Ich wüsste nicht, was ich nicht getan habe in diesem Verein, außer vielleicht hinter dem Grill zu stehen oder Getränke auszuschenken.“ Aufgrund dieser ganzen Verpflichtungen glaubt Richter nun, dass „der Ballast abfallen wird“, er „nicht jeden Tag am Telefon sein und womöglich wegen irgendetwas meinen Kopf hinhalten muss“, und sieht für seine Entscheidung den richtigen Zeitpunkt gekommen. „Wenn du selber entscheidest, wann du gehst, hast du immer das Glück, dass du nicht mit einer Niederlage aufhören musst. Oft geht ein Trainer mit einer Niederlage, weil er dann entlassen wird und der Verein unzufrieden ist.“

Auch beim Feiern immer an vorderster Front. Foto: noveski.com

Auch wenn Richter den Verein bereits im März über seine endgültige Entscheidung unterrichtete („Wer nicht sagt, dass er geht, der muss bleiben“), hätte er nach den ganzen Spielerabgängen nicht gewusst, ob er „in der nächsten Saison noch einmal einen Neuanfang hätte starten wollen“ und freut sich deshalb auf eine neue Herausforderung – sei es privat, beruflich oder sportlich – denn „ohne Fußball wird es ohnehin nicht gehen“.

Den „Neuanfang“ muss nun Neu-Coach Olaf Lakämper, der beim Richter-Abschied auf der Tribüne saß und im Landkreis Lüneburg für seine gute Jugendarbeit (Ex-Klub MTV Treubund Lüneburg) bekannt ist, gestalten. „Die Ära Jean-Pierre Richter ist vorbei, nun muss eine neue Seite aufgeschlagen werden und der neue Trainer muss ein neues Team aufbauen. Klar kann er Bausteine von mir nehmen, aber es wird sich zeigen, wie weit in den nächsten Jahren noch meine Handschrift zu erkennen ist. Das Fundament ist zwar gelegt und einige Stockwerke habe ich auch gebaut, aber er kann weiterhin oben drauf bauen“, so Richter, der anfügt: „Es ist wünschenswert, dass Süderelbe die Nummer eins im Süden bleibt – alles andere wäre schade.“

„Wäre ich Entscheidungsträger gewesen, wäre vieles anders gelaufen!“

Die Jubelarien auf dem Grandplatz des SC Urania, wo das Aufstiegs-Rückspiel gegen den USC vor zwei Jahren stattfand. Foto: noveski.com

Abschließend geht der verabschiedete Übungsleiter allerdings noch einmal mit den FCS-Verantwortlichen ins Gericht: „Wenn ich Entscheidungsträger in den letzten Wochen gewesen wäre, wäre vieles anders gelaufen!“ Denn neben der „Farce mit Prielipp“ (wir berichteten), das ein wenig an die Tuchel-Bemühungen beim HSV erinnerte, hätten laut Richter „alle Akteure gehalten werden können, wenn man nicht erst Mitte Mai mit den letzten Spielern gesprochen “ und so „die Jungs freiwillig auf den Markt gesetzt hätte – wofür man nun bestraft wurde“.

Auf Nachfrage, wo der begehrte Trainerdiamant in Zukunft weiter geschliffen wird, sagte Richter: „Ich fahre nach New York, chille und lerne ein paar Fremdsprachen – das habe ich mir von Guardiola abgeschaut.“ Wenig später gab uns der sympathische Jung-Coach, der laut eigenen Angaben „aufgrund des hohen Drucks und der Verantwortung nicht gerade das Leben hatte, was man sich mit Mitte 20 wünscht, so dass man sich teilweise schon wie ein 40-Jähriger fühlt“, doch noch einen kleinen Einblick in seine Zukunftspläne: „Es wird heutzutage sehr viel Wert auf Lizenzen gelegt, wo ich die letzten Jahre keine Zeit zu hatte.“ Richter schmiede also nicht den Plan, „direkt in das nächste Bett zu hüpfen“, sondern möchte vielmehr „andere interessante Ding erleben und weitere Erfahrungen sammeln“. So habe der begehrte Übungsleiter beispielsweise auch Regionalligist VfB Lübeck vor wenigen Tagen eine Abfuhr erteilt, weil „das Gesamtpaket nicht passte“.

Ein kleines Happy end gab es am Ende der sechsjährigen Geschichte aber doch noch. Auch wenn man nicht Meister oder Pokalsieger wurde, konnte man dennoch die Harburger Hallenmeisterschaft sowie den Harburg-Pokal für sich entscheiden und neben dem besten Südteam, mit der jüngsten Elf, die beste Offensive und zweitbeste Defensive der Liga stellen. Chapeau, Jean-Pierre Richter! Auf ein baldiges Wiedersehen!

Ein großes Dankeschön geht an noveski.com für das Durchstöbern des Archivs und zur Verfügung stellen des Bildmaterials!

Autor: Daniel Meyer