Als Aussteiger auf Marathonkurs

Schuhwechsel – das große Lauftagebuch | von Dirk Becker

20. März 2014, 05:49 Uhr

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Da stand ich nun also im Vereinsheim von Grün-Weiss Eimsbüttel und hatte einen Kloß im Hals. Fußball-Weihnachtsfeiern gehen selten emotional über die Bühne, sondern eher zünftig und derb. Dieses Mal war es eine Mischung aus beiden Parametern – etwas Besonderes, schließlich war es mein Vorhaben, die Schuhe nach zweieinhalb Jahrzehnten (vorläufig) an den Nagel zu hängen.

Nach altem Brauch gab es zum Abschied ein paar warme Worte und ein ausrangiertes, weil vor Urzeiten eingelaufenes, GWE-Trikot, selbstredend von versammelter Belegschaft eigenhändig signiert. Trainer, Betreuer, Spieler – alle hatten sie sich auf dem Stück Stoff verewigt. Eine Geste, die Pipi in die Augen trieb. Weshalb verabschiede ich mich eigentlich aus diesem Kreis grundsympathischer Männer? Von einem Team, mit dem ich noch im Sommer den Aufstieg in die Bezirksliga bejubelte?

Die Antwort auf diese Frage lautet Marathon – ein Vorhaben, das mir schon seit Jahren im Kopf herumschwirrt und dessen Umsetzung stets daran scheiterte, weil ich mich dem Fußball zu verbunden fühlte. Nun war die Abnabelung vom großen Zirkus geschafft und die Anmeldung für den Hamburg-Marathon vollzogen. Ob das der richtige Schritt war, vermag ich nicht zu sagen. Die Motivation liegt in jedem Fall darin, einmal etwas komplett Gegensätzliches anzupacken. Fußball, das ist gemeinsam etwas erreichen, das ist füreinander einstehen, das ist die berüchtigte dritte Halbzeit, das ist sportliche Spannung, das ist schlicht Lebensqualität. Kann mir das Laufen all dies bieten? Probiere ich es doch einfach aus.

In knapp zwei Monaten ist bereits Wettkampftag. Dann werde ich 42, 195 Kilometer gemeinsam mit über 10.000 anderen Teilnehmern durch die Straßen Hamburgs tigern. Was für eine Ochsentour. Dreieinhalb bis vier Stunden werde ich unterwegs sein – darauf will man vorbereitet sein. Und daher eifere ich schon seit geraumer Zeit meinem individuellen Trainingsplan hinterher. Drei Einheiten wöchentlich, zwei kürzere Läufe, ein längerer. Vom formalen Rahmenprogramm eigentlich wie beim Fußball: zweimal die Woche Training, einmal Spiel. Und doch ist alles anders, denn Rechenschaft bist du nur dir selbst schuldig. Kein Trainer und keine Mitspieler, die fragen, wo du bleibst, wenn der Schweinehund mal wieder aus seiner Ecke hervorgekrochen ist. Selbstdisziplin heißt die Maxime.

Kein Gefühl der Einsamkeit

Mit eben jener klappte es in den Wintermonaten Januar und Februar erstaunlich gut. Wohl wissend, dass die alten Teamkammeraden aufgrund der schlechten Platzverhältnisse auch nichts anderes machten als ich – nämlich bei Minustemperaturen und Dunkelheit durch die Gegend zu joggen –, lernte ich jeden Winkel von „Planten un Blomen“ kennen. Und auch während der regelmäßigen Läufe um die Alster fühlte ich mich als „Aussteiger“ nicht einsam. Stets kamen mir Gruppen von Fußballern entgegen, deren natürliches Wirkungsterrain gesperrt war und zu denen ich meine Verbundenheit nicht leugnen konnte. Gefühlsmäßig gehöre ich ohnehin noch der alten Zunft an – nicht umsonst wird im Fussi-Trikot gejoggt.

Über Dirk Becker:


„Das ist Wahnsinn! Da gibt's Spieler im Team, die laufen noch weniger als ich!“ Toni Polsters wunderschöne Aussage trifft auf unseren Kolumnisten Dirk Becker als aktiven Fußballer nun wahrhaftig nicht zu. Laufen war stets die Grundlage seines (limitierten) Spiels, das er seit dem sechsten Lebensjahr leidenschaftlich betrieb. Nach den Stationen Walddörfer SV, RW Harste (Göttingen) und GW Eimsbüttel legte er im Januar nach 25 Jahren Vereinsfußball eine Pause ein, um sich dem Projekt Marathon zu widmen. Im „Schuhwechsel“ berichtet er über seine Erfahrungen.