Als die Brombeeren wuchsen

Hamburgs Traditionsplätze – ETV-Tribünensportplatz / von Dirk Becker

23. Mai 2013, 10:12 Uhr

Rudiment vergangener Tage: ein Torso der alten Anlage ist übrig geblieben.

Kunstrasenanlagen. Sie sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und sind zweifelsohne ein Segen für den Amateurfußball. Robust gegen Wetterkapriolen, unempfindlich gegenüber der täglichen Belastung – dies sind die großen Pluspunkte eines Geläufs, auf dem ob seiner ebenen Beschaffenheit spielerisch ansprechender Fußball möglich ist. Auch am Lokstedter Steindamm 75, wo der Eimsbütteler TV seine sportliche Herberge hat, findet man ein Feld eben jener Gattung. Doch modernes Erscheinungsbild hin oder her: der ETV-Tribünensportplatz blickt auf eine ruhmreiche Historie zurück.

Die Fußballabteilung des Eimsbütteler TV existiert seit 1906 und hatte ihre Heimat zunächst auf dem Sportplatz Sternschanze, ehe sie nach einem Intermezzo an der Schlankreye (heute Gustav-Falke-Sportplatz, FC Alsterbrüder) am 8. November 1911 ihre eigene Anlage am heutigen Lokstedter Steindamm einweihte, wie uns das Fußball-Lexikon Hamburg (Die Werkstatt, Göttingen 2006) lehrt. Zur Eröffnung setzte es im neuen Rund, das zur Hälfte auf preußischem Gebiet in Lokstedt lag, eine 1:2-Niederlage gegen Minerva Berlin. Mit den Jahren entwickelte sich der Fußball im ETV zu einer Topadresse in Hamburg, weshalb man die Anlage nach dem ersten Weltkrieg in großzügiger Manier ausbaute.

Ein Stadion mit einem Fassungsvermögen von 20.000 Zuschauern entstand. Getauft wurde die neue Spielstätte auf den Namen ETV-Tribünensportplatz mit imposanten Stehtraversen und einer damals zeitgemäßen Sitzplatztribüne als i-Tüpfelchen baulicher Kunst. Namenhafte Klubs machten nun Halt bei den Eimsbüttelern. So gaben Saarmeister Borussia Neunkirchen (1:3), Berlins Meister BFC Dynamo Vorwärts 90 (3:3) und der Wiener Titelträger SK Rapid (2:1) jeweils ihre Visitenkarte an der Elbe ab. Große Zuschauermengen standen dabei an der Tagesordnung. Als Rekordkulisse auf dem Tribünensportplatz sind die 24.000 Besucher beim Spiel gegen den Hamburger SV am 20. März 1938 in die Geschichtsbücher eingegangen.

Torso der alten Anlage steht noch

Neue Idylle: Der Blick aufs Spielfeld.

Der zweite Weltkrieg stellte in der Folge einen Wendepunkt in der Geschichte des Stadions dar. Große Teile des Areals waren zerstört, die Tribüne bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Später annektierte die britische Militärregierung das Gelände. Auch sportlich ging es für die Eimsbütteler, die bis 1949 auf Ausweichplätzen ihre Heimspiele austragen musste, in den nächsten Dekaden bergab. „Heute steht nur noch ein Torso der alten Anlage, die längst den Namen ‚Sportpark Hoheluft’ trägt und nur 1000 Stehplätze hat“, wie Andreas Meyer im Fußball Lexikon schreibt.

Auf der Suche nach Zeitzeugen vergangener Tage stießen wir auch auf Richard Wenzing. Der 73-Jährige ist im ETV Fußballabteilungsleiter und obendrein Co-Trainer der ersten Herrenmannschaft. „Der große Glanz ist wirklich schon lange her. Als Schuljunge in den 1950er-Jahren erinnere ich noch andere Zeiten. Aber mit den Jahren entwickelte sich eine unerfreuliche Geschichte. Die Anlage verrottete langsam. Zeitweise war überall Gestrüpp, und Brombeeren wuchsen“, schaut Wenzing zurück. Fußball rückte am Lokstedter Steindamm in den Hintergrund. Neue Tennisplätze entstanden, was eine Verlagerung des Fußballterrains mit sich zog.

„Wir haben hier den schönsten Platz Hamburgs – unseren Ligaplatz“

Seit Herbst 2012 erstrahlt die Anlage im neuen Glanz. „Durch den Neubau des Kunstrasenplatzes hat die Anlage eine große Aufwertung erfahren und wird wieder von sehr viel mehr Sportler/innen genutzt“, konstatiert Frank Fechner, erster Vorsitzender des ETV. Wenzing ergänzt: „Hier wurden neue Bäume gepflanzt – ein wunderschöner Anblick. Wir haben hier jetzt ein richtiges Schmuckstückchen und den schönsten Platz Hamburgs – unseren Ligaplatz.“ Aussagen voller Stolz über eine neue Idylle, deren Tradition bei genauerem Hinsehen nach wie vor erkennbar ist. Der rote Klinkerbau am Rande des Spielfelds mit der charmant anmutenden Sprecherkabine, welche über eine manuell zu bedienende Anzeigetafel verfügt, ist Rudiment vergangener Tage.