Drei Kreuze und ein kühles Bier

Schuhwechsel – das große Lauftagebuch | von Dirk Becker

05. Juni 2014, 04:26 Uhr

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Matchday. Oder sagen wir besser „Hashtag Matchday“ (#), um die Bedeutung dieses Tages zu unterstreichen. Es ist Sonntag, der 4. Mai 2014, 8:40 Uhr, und der Hamburg Marathon hat mich in seinen Fängen. Was für eine gigantische Veranstaltung! 16.000 Teilnehmer drängen sich dicht an dicht auf dem Messegelände der Stadt. An Ausrüstung fehlt es beileibe keinem. Polaruhr hier, Verpflegungsgürtel und Trailsocken da. Ich komme mir mit meinem in die Jahre gekommen GW Eimsbüttel-Trikot und den dazugehörigen Fußballstutzen doch ein wenig deplatziert vor.

Aber sei es drum: anders sein ist cool. Das war schon zu Schulzeiten so, und schließlich bin ich tief in mir auch kein Langläufer, sondern sowieso ein Fußballer. Die 42, 195 Kilometer einigermaßen schadlos zu absolvieren, reizt mich dann allerdings schon. Frisch ist es an diesem Maitag, denke ich mir, als ich meinen Platz in der Startbox einnehme – nichtsahnend, dass ich in dem Block noch 40 geschlagene Minuten in dünner Montur ausharren muss, ehe sich die Läufermassen vor mir in Bewegung setzen und es endlich losgeht.

Die ersten Kilometer dienen der Wiedererlangung der Körpertemperatur. Der Streckenverlauf führt über die Reeperbahn. Es geht weiter Richtung Othmarschen, bevor das Feld den Schlenker zur Elbchaussee nimmt. Bis hierhin gleicht das Rennen einem lockeren Spaziergang. Und als wenig später am Hafen der erste GWE-Mannschaftskollege zuwinkt, ist die Laune prächtig. Läufer um Läufer wird überholt, fast schon ein wenig ehrfürchtig auch Peter Nogly, ein Idol des Hamburger SV. Weit über 327 Bundesliga- und eine Handvoll Länderspiele hat der gute Mann bestritten, um nun mit 67 Jahren im HSV-Dress einen Marathon zu bestreiten – Hut ab!

Leicht und locker geht es leider nicht weiter. Knapp über 20 Kilometer sind absolviert, und ich staune, wie unendlich sich die Sierichstraße doch in die Länge ziehen kann. Kurz darauf erhasche ich zwei Spaßvögel, die am Streckenrand doch tatsächlich eine große Tafel am Wegesrand aufgestellt haben, mit der sie Freibier für Läufer anpreisen. Ich muss instinktiv lachen – ein grotesk-schöner Moment. Die Kräfte schwinden jedoch zunehmend, die Muskeln brennen und der Spaßfaktor nimmt deutlich ab. Anfeuernde Rufe von Freunden und Verwandten helfen, die Zwischentiefs zu überbrücken. Und auch die Verpflegungsstationen sorgen für temporäre Linderung. Nichtsdestotrotz: dieses Rennen ist eine Ochsentour, und ich verfluche jeden Mitstreiter, der bei Kilometer 35 immer noch einen lockeren Spruch auf den Lippen hat. Wie gerne würde ich mich jetzt einfach in die nächste Bushaltestelle legen und ein Nickerchen machen? Wie weit ist dieses verfluchte Ziel eigentlich noch weg? Ich reiße mich zusammen, Fußballspiele gehen mitunter auch an die Substanz. Und auf diese Sache hier habe ich Monate lang hintrainiert. Engel links, Teufel rechts. Das ständige Wechselbad der Gefühle. Doch was ist das? Die Ziellinie am Horizont! Den roten Teppich, der mich dort hingeleitet, überquere ich leichten Fußes. Es ist geschafft: Drei Kreuze und ein kühles Bier!

Über Dirk Becker

„Das ist Wahnsinn! Da gibt's Spieler im Team, die laufen noch weniger als ich!“ Toni Polsters wunderschöne Aussage trifft auf unseren Kolumnisten Dirk Becker als aktiven Fußballer nun wahrhaftig nicht zu. Laufen war stets die Grundlage seines (limitierten) Spiels, das er seit dem sechsten Lebensjahr leidenschaftlich betrieb. Nach den Stationen Walddörfer SV, RW Harste (Göttingen) und GW Eimsbüttel legte er im Januar nach 25 Jahren Vereinsfußball eine Pause ein, um sich dem Projekt Marathon zu widmen. Im „Schuhwechsel“ berichtet er über seine Erfahrungen.

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Autor: Dirk Becker