Erfrischend anders, wenig (herz)erfrischend und ein „alter Hase“ für die Frischlinge

Abpfiff – die FussiFreunde-Kolumne

07. März 2017, 11:26 Uhr

Foto: KBS-Picture

Ab sofort greifen wir an dieser Stelle zum Abschluss des Spieltages unter dem Titel „Abpfiff“ in unserer Kolumne die Geschehnisse des Wochenendes und die wichtigsten Themen der vorangegangenen Woche im Hamburger Fußball auf und kommentieren diese. Diesmal geht es um Szenen aus dem Spiel zwischen der TuS Dassendorf und dem TuS Osdorf, die aktuelle Situation beim SC Victoria und die Verpflichtung von Thorsten Beyer als neuer Trainer beim Eimsbütteler TV ab dem Sommer 2017.

Es gibt Geschichten, die schreibt nur der Fußball. Die des TuS Osdorf ist so eine. Die des kleinen Underdogs, der die Liga aufmischt, zumindest aber immer wieder dafür zuständig ist, Überraschungen abzuliefern. Die Geschichte einer Mannschaft, die den Teamgeist vielleicht noch ein bisschen mehr lebt als jede andere Hamburger Mannschaft. Was sind das nicht alles für Schlachten, die am Blomkamp bereits geschlagen wurden. Sei es auf Kunstrasen oder früher auf dem legendären „roten Rasen“, dem „Grand-Acker“ mit diesem so schummrig-schönen Flutlicht am Freitagabend. Und der dritten Halbzeit, die dort schon mal länger dauern kann als die zwei vorangegangenen. Dort wird Fußball noch gearbeitet und gelebt statt zelebriert.

Emotionen gehören zum Fußball, Atugs Spuck-Attacke nicht

Dassendorfs Seyhmus Atug (li.) ließ sich zu einer Spuck-Attacke gegen den Osdorfer Sascha Blume hinreißen. Foto: KBS-Picture

Auch auswärts funktioniert das „System Osdorf“ in Hamburgs Oberhaus inzwischen. Leidtragend durfte dies am vergangenen Wochenende die TuS Dassendorf spüren, bei der der Tabellensechste nach dem frühen Treffer von Sascha Blume mit 1:0 gewann. Das Spielchen, mit einer „Katz-und-Maus-Mauer“ nach dem Treffer aus der Anfangsphase alle drei Punkte zu „ermauern“, mag nicht unbedingt attraktiv sein, doch wenn sich Osdorfs Trainer Piet Wiehle nach dem Spiel hinstellt und erst einmal davon berichtet, dass die Mannschaft am Abend zuvor noch in den Geburtstag von Toni Ude reingefeiert habe (und man weiß ja, wie lange Feierlichkeiten in Osdorf schon mal dauern können...) und seine Mannschaft als bessere Freizeittruppe betitelt, dann ist das herzerfrischend offen und – seien wir doch mal ehrlich – irgendwie auch das, was den Amateurfußall ausmacht. Osdorf ist eben anders – und trotzdem unglaublich erfolgreich.

Zu den Geschichten, die der Fußball schreibt, gehört aber auch die andere Seite der Medaille und damit eine Szene, die sich im Osdorfer Gastspiel am Wendelweg ereignete. Dort ließ sich Seyhmus Atug nach 39 Minuten zu einer Spuck-Attacke gegen Sascha Blume hinreißen, nachdem dieser ihn mit dem Ellenbogen erwischt hatte. Nicht ganz fair, nicht ganz fein. Nein, um ehrlich zu sein: sogar ziemlich unterirdisch und völlig daneben. Schade, dass ein Spieler von Atugs Klasse so etwas nötig hat. Schade, dass die Dassendorfer aufgrund dieser Szene und eines kleinen Kopfstoßes von Kristof Kurczynski gegen den Osdorfer Bennet Krause so und nicht sportlich von sich Reden machten. Davon lenkte auch die Präsentation des neuen Dassendorfer Maskottchens, ein Moorhuhn (erster Gedanke: das Sprichwort „da lachen ja die Hühner“, zweiter Gedanke: Gab's da nicht mal ein Spiel, in dem man Moorhühner abschießen musste? Welch herrliche Steilvorlage für etwaige Wortspiele der Journaille bei höheren Niederlagen...), nicht wirklich von ab. Gut, dass „Dasse“-Coach Thomas Hoffmann, an der Seitenlinie selbst verbal ein Heißsporn, in Bezug auf Atug erklärte: „Das passt nicht zu unseren Werten und ist in keinster Weise zu akzeptieren.“ Klingt nach einer Strafe, bei der dem Übeltäter am Ende sprichwörtlich die Spucke wegbleiben könnte. Emotionen gehören zwar zum Fußball, aber nicht in dieser Form, lieber Seyhmus Atug!

Scheidung oder neues Selbstverständnis?

Coach Jasko Bajramovic wirkte bei der 1:5-Niederlage des SC Victoria gegen Altona 93 recht emotionslos. Foto: KBS-Picture

Eher emotionslos hingegen verfolgte am Sonntag Jasko Bajramovic den wenig begeisternden Auftritt seiner Schützlinge. Beim 1:5 des SC Victoria gegen Altona 93 kauerte der Vicky-Coach vor allem in der zweiten Hälfte mehr oder minder regungslos auf seinem Stuhl, den Blick nach unten gerichtet. Auf sein Buch, in dem er sich fleißig Notizen machte. Kaum Coaching, kaum korrigierendes Eingreifen. Nun gut, nicht jeder muss wild gestikulierend an der Linie rumtoben. Es gibt in Hamburgs Amateurfußball-Szene nicht wenige, die diesen Anblick am Sonntag sinnbildlich für die Situation bei Vicky hielten: ein resignierender Bajramovic, ein stagnierender SC Victoria. Der derzeit fünfte Platz kann und wird die Verantwortlichen an der Hoheluft kaum zufriedenstellen. Der Kader ist – nicht erst, aber insbesondere nach den Transfers in der Winterpause – nominell so gut besetzt, dass man auch noch ein Stück weiter oben mitspielen könnte. Genau das sollte auch der Anspruch eines Vereins sein, der ein solches Renomee wie der SCV hat.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass die Winterneuzugänge noch Zeit brauchen, sich vollständig zu integrieren. Man kann selbstverständlich auch anführen, dass Bajramovic vor der Saison die Strategie ausrief, man wolle „den Jugendbereich stärken und näher an die Ligamannschaft heranführen“. Dass ein solcher Strategie- und Strukturwechsel Zeit braucht. Dass man eben nicht mehr der FC Bayern München der Oberliga ist. Aber: Bajramovic verkündete vor der Saison ebenso, dass Vicky „mit vielen Talenten einen attraktiven Fußball spielen wolle.“ Ob der Victoria-Fussball anno 2017 attraktiv ist, muss jeder für sich selbst beurteilen. Der Erfolg jedenfalls hält sich im Rahmen. So wie schon in der vergangenen Saison, nachdem Bajramovic im Dezember 2015 die Nachfolge von Lutz Göttling antrat. Damals rief Bajramovic das Ziel Meisterschaft aus. Doch das Team ließ in der Rückrunde zu viele Federn, wurde Dritter mit neun Punkten Rückstand. An der Hoheluft gibt es – zum Beispiel mit Jean-Pierre Richter und Ronald Lotz – genug Fußballsachverstand, der beurteilen kann, in wie weit die Ehe Vicky/Bajramovic noch läuft, ob sie irgendwann vor der Scheidung steht oder das neue Selbstverständnis des SCV eben nicht mehr lautet: Um die Meisterschaft mitspielen, sondern „nur“ im vorderen Drittel landen.

Eine vielversprechende Mischung

Thorsten Beyer gibt ab der neuen Saison beim ETV den Weg vor. Foto: KBS-Picture

Am Lokstedter Steindamm lohnt übrigens der Blick nach nebenan. Da gibt’s den Eimsbütteler TV. Der kickt in der Bezirksliga Nord und machte in dieser Woche mit der Verpflichtung von Thorsten Beyer als neuem Trainer ab dem 1. Juli 2017 von sich reden. Manager Koray Gümüs ist damit ein Coup gelungen. Denn Beyer stand nicht nur beim ETV auf der Liste. Es gab auch Interessenten aus der Ober- und der Landesliga. Den FC Türkiye zum Beispiel, erzählt man sich in der Szene. Dort muss man sich nun nach anderen Alternativen umsehen. Das gleiche gilt auch für etwaige Interessenten aus der Landesliga. Es könnte also sein, dass die Verpflichtung Beyers durch den ETV der erste Stein ist, der in den kommenden Wochen ein kleines „Trainer-Domino“ ausgelöst hat. Wie dem auch sei: Hut ab vor Manager-Jungspund Gümüs, einen derart umworbenen Mann zu holen. Vor allem auch, weil es eine intelligente Verpflichtung ist, die Sinn macht und passt.

Beyer ist ein akribischer Arbeiter. Er hat nicht zuletzt gemeinsam mit Ingo Brussolo beim Klub Kosova bewiesen, dass er eine Mannschaft formen, ihr ein Gesicht und eine Struktur geben und eine Idee vermitteln kann. Der 54-Jährige geht in Projekten, denen er sich widmen kann, auf. Kein Wunder also, dass er auch die „Aufgabe ETV“ als ein solches bezeichnet und „stolz ist, so ein Projekt mit jungen Leuten zu begleiten.“ Tradition, ein vernünftiger Unterbau mit diversen Jugendmannschaften und gerade auch die Rahmenbedingungen, die Beyer beim ETV vorfindet, dürften weitere Parameter gewesen sein, die ihn zu einer Entscheidung „pro Eimsbüttel“ kommen ließen, schließlich kennt er es vom Klub Kosova auch anders. Dort rieb er sich bis zu seinem Rücktritt am 26. Dezember 2016 bisweilen in zu vielen Nebenschauplätzen abseits des Platzes auf – Stichwort Disziplin und Engagement. Die Mischung „junges, engagiertes Team“ auf der einen Seite, ein Trainer mit jeder Menge Erfahrung, Wissen und Kontakten auf der anderen Seite und das Ganze gepaart mit der „familiären Atmosphäre“, die Beyer beim ETV schon jetzt lobt, erklären, warum der künftige Coach sagt, ihm sei „die Perspektive wichtiger als die Ligazugehörigkeit.“ Klingt zumindest vielversprechend. Messen lassen wird man sich aber, genau wie bei Vicky ein paar Meter weiter, letztlich an den Ergebnissen...

Jan Knötzsch