„Ich bin in Wilhelmsburg quasi eingetürkt worden“

Der Weg des David Berwecke: Vom Techniker zum Trainer

19. April 2017, 10:29 Uhr

Hat seine Mannschaft genau im Blick: RW Wilhelmsburgs Coach David Berwecke. Foto: Ingo Brussolo

David Berwecke hat in seiner Karriere vieles gesehen und erlebt. Den Jugendbereich des HSV, der Aufstiege in die Dritte Liga und jeweils den Rückschlag, dass seine Clubs in diesem Moment nicht mehr auf ihn setzten. Mit inzwischen 35 Jahren hat der „Zauberfuß“, der jahrelang mit seinen Dribblings die Fans in Hamburgs Amateurfußball und darüber hinaus verzückte, seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt und steht nun als Trainer an der Seitenlinie. Natürlich in dem Stadtteil, aus dem er einst loszog, um Profi zu werden.

Wenn David Berwecke durch Wilhelmsburg geht, dann kann das schon einmal etwas länger dauern. Wegen der Hände die er schütteln muss. Wegen der bekannten Gesichter, denen er begegnet. „In Wilhelmsburg“, sagt der Blondschopf, „kennt jeder jeden.“ Hier, im Süden der Hansestadt, ist David Berwecke aufgewachsen. Hierhin ist er inzwischen zurückgekehrt, nachdem er einst mit dem Wunsch loszog, die Fußballwelt zu erobern. Seit dem Winter ist der 35-Jährige Trainer. Beim Kreisligisten Rot-Weiß Wilhelmsburg. Es läuft ganz ordentlich beim Club, der am Rothäuser Damm seine Heimspiele austrägt. Zwar hat man fünf Zähler Rückstand auf den Spitzenreiter FC Musa und machte zuletzt eher durch den Abbruch des Spiels gegen den SC Vorwärts 93 Ost, doch noch ist nach oben alles möglich.


„Ich kenne viele der Jungs, seit sie klein sind. Ich kenne deren Geschwister, Väter oder Onkels. Das sind alles Jungs, die kicken können. Echte Straßenfußballer“, sagt Berwecke über sein Team, in dem Akteure wie Sükrü Ayver, Muhammed Kiremitci, Yuliyan Angelov, Mustafa Kiremitci oder Yasin Korkusuz stehen. Namen, die man im Süden Hamburgs kennt. Genauso, wie man dort den Namen Berwecke kennt. Bisher als Spieler, nun als Trainer. „Für die Landesliga fehlt es mir als Coach an Erfahrung. Man soll außerdem auch nicht vier Schritte auf einmal machen, sondern einen nach dem anderen“, erzählt der Mann, dessen höchster Marktwert zu seiner Zeit als Aktiver anno 2004 bei 50.000 Euro lag. „Hier bei Rot-Weiß“, ist sich Berwecke sicher, „kann man etwas aufbauen.“

„Bei Rot-Weiß kann man etwas aufbauen“

Energisches Coaching: David Berwecke in Aktion als Trainer. Foto: Ingo Brussolo

Es ist die zweite Station, bei der der frühere Mittelfeldspieler als Coach tätig ist. Vorher betreute er die Reserve von Einigkeit Wilhelmsburgs Frauen. „Ich hatte damals einen Knorpelschaden, habe lange Zeit kaum oder gar keinen Fußball gucken wollen. Dann hat mein Freund Mehmet Göktas, der die Frauen trainiert hat, mich gefragt, ob ich ihn nicht unterstützen kann“, erinnert sich Berwecke an die Anfänge. Irgendwann hörte Göktas auf. Doch Berwecke blieb. Als Chefcoach übernahm er am 1. Juli 2013. „Das war eine schöne Zeit“, blickt er zurück, „leider hat sich die Mannschaft dann aufgelöst und ist auseinander gegangen.“ Und trotzdem hatte Berwecke Blut geleckt.

„Ich bin mir sicher, dass ich eine richtige Trainerkarriere antreten möchte. Ich mache derzeit meine C-Lizenz“, berichtet er und hat inzwischen auch Dinge ausgemacht, die den Job bei einer Frauen- von dem bei einer Männermannschaft unterscheiden. „Bei den Damen musst du schon etwas sensibler sein. Die musst du auch mal in den Arm nehmen. Da hilft positives Reden mehr als schreien“, lacht Berwecke, dem bei Rot-Weiß natürlich zugute kommt, dass er aufgrund dessen, dass er in Wilhelmsburg zwischen allerhand Nationalitäten aufgewachsen ist, „weiß, wie die Jungs ticken. Ich weiß genau, was ich tun, muss wenn sie mal Larifari machen.“ Und: „Ich verstehe auch, wenn sie mal über mich schimpfen, weil ich türkisch kann. Ich bin in Wilhelmsburg quasi eingetürkt worden.“ So zum Beispiel hält er noch heute Kontakt zur Familie Akon. Zu seinen Kumpels Ilker, Ibo und Adem. Deren Mutter Yasemin „ist fast schon so etwas wie meine Ziehmutter. Ich kann und konnte dort ein- und ausgehen, wie ich wollte. Sie behandelt mich wie ihren eigenen Sohn.“

„Bei den Damen musst du sensibler sein und sie auch mal in den Arm nehmen“

Was Mutter Akon im Alltag für Berwecke ist, ist Michael Schröder, wenn es um Fußball gibt. In der A-Jugend spielte er beim Hamburger SV unter dem Ex-Profi. Und auch wenn er sagt, er habe sich „von all meinen Trainern ein bisschen abgeguckt“ für seine die Aufgabe, lässt Berwecke keinen Zweifel daran: „Mein Nummer-Eins-Coach ist und bleibt Michael Schröder. Er hat mir viel beigebracht. Er ist menschlich überragend. Auch im taktischen Bereich hat er richtig viel drauf.“ Jener Michael Schröder ist, wenn man so will, in der Geschichte des David Bewercke eine Art Verbindung. Die Brücke zwischen dem jetzigen Trainer und dem Spieler Berwecke. Der begann seine Karriere beim TV Jahn Wilhelmsburg. Dort machte er früh auf sich aufmerksam, so dass ihn der große HSV haben wollte. Im B-Jugendalter wechselte er zu den „Rothosen“. Einen Jahrgang später kreuzten sich die Wege des talentierten Berwecke und des ehemaligen Abwehrspielers Schröder.

„Natürlich hab' ich gedacht: Ich werde Profi“, blickt Berwecke auf seine Zeit beim HSV zurück. „Michael Schröder hat Leute wie Christian Rahn oder mich gefördert. Es lief alles. Er hat uns viele Freiräume gegeben, aber auch in den Arsch getreten, wenn es nötig war. Michael sollte dann die Amateure übernehmen. Dazu kam es aber nicht. Stattdessen hat Stefan Böger den Job bekommen. Wenn Schröder dort Trainer geworden wäre, hätten einige von uns bei den Profis mittrainieren können, da bin ich mir sicher.“ Und so kam es, wie es kommen musste: Berwecke spielte wenig bis kaum, war damit nicht zufrieden und verließ den Verein. „Ich trauere dem nach, dass es beim HSV nicht geklappt hat“, sagt er heute.

„Wir wurden Meister, aber dann war man nicht offen und ehrlich zu mir“

Stark am Ball: David Berwecke (vo.) als Spieler des FC Türkiye mit dem Dassendorfer Stefan Murrins. Foto: noveski.com

Den brillanten Techniker zog es 2003 zum Meiendorfer SV. „Das war eine überragende Zeit. Wir hatten eine brutal gute Mannschaft mit Spielern wie Marco Krausz, Nils Roschlaub, Olufemi Smith oder Norman Lund. Die haben mich einiges gelehrt und mich auch erzogen. Auch Trainer Frank Stolina hat einen mal zur Seite genommen und gesagt: 'Du hast ein Ziel', wenn man sich mal nicht so benommen hat, wie man sollte.“ Das Ziel des David Berwecke war klar: Der Profitraum lockte noch immer. Also ging es im Sommer 2004 ab Richtung Kickers Emden. „Ich war jung und wollte mir beweisen, dass ich den Schritt schaffen kann. In Emden haben wir unter Profibedingungen zwei Mal am Tag trainiert. Die Stadt war top. Wir sind Meister geworden und aufgestiegen. Aber dann war man nicht offen und ehrlich zu mir.“

Berweckes Vertrag bei den Kickers lief aus. „Der Wuppertaler SV wollte mich. Ich bin in Emden geblieben, aber Trainer Marc Fascher hat auf einmal nicht mehr auf mich gesetzt“, ärgert sich Berwecke noch heute. Der Abschied ließ nicht lange auf sich warten. Auch mit seinem nächsten Verein, dem SV Wilhelmshaven, stieg Berwecke auf. Doch wieder bekam er zu wenig Spielzeit. „Es reichte mir nicht. Ich habe nur auf der Bank gesessen und bin gegangen“, berichtet Berwecke, der schließlich im Sommer 2006 in Norderstedt anheuerte: „In der Mannschaft mit Bülent Arlioglu oder Lars und Dennis Gersdorf habe ich mich wohlgefühlt. Trainer Ralf Schehr kannte ich vom HSV.“ Und trotzdem versuchte es Berwecke nach nur einem Jahr bei der Eintracht erneut außerhalb Hamburgs. Beim SV Lippstadt. „Mein Berater fragte damals, ob ich mir das vorstellen kann.“

Es wurde für den begnadeten Techniker nur ein kurzes Intermezzo. Im Sommer 2008, nach einer Saison, kehrte er nach Hamburg zurück. Zu Bergedorf 85. „Ich wollte wieder nach Hause. Ins gewohnte Umfeld und zur Familie. Ich habe mir gesagt: Profi wirst du jetzt auch nicht mehr, denk' an die Zukunft, such' dir einen Job und arbeite.“ An den Sander Tannen kickte Berwecke unter Rüdiger Schwarz und Manni Nitschke mit Hamburger Größen wie Tibor Nadj, „Matte“ Reincke oder Deran Toksöz. „Sascha de la Cuesta war auch da“, erinnert sich Berwecke, „wir hatten eine geile Truppe, sollten aufsteigen. Der Verein hat aber nicht gemeldet. Das war der Moment, wo die Köpfe runter gingen.“ Auch Berwecke ging. Zum FC Türkiye, noch ein Stück weiter nach Hause. „Da waren viele Jungs, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich lange kenne“, sagt er. Es folgte ein Wechsel zum Klub Kosova und als letzte aktive Station der SV Wilhelmsburg.

Im DFB-Pokal mit „85“ gegen Duisburg: „Das erlebt man nicht alle Tage“

Schwer zu stoppen: David Berwecke (Mitte) im Trikot des Klub Kosova. Foto: noveski.com

„Da war ich aber oft verletzt. Das war die Zeit mit dem Knorpelschaden im Knie“, erinnert sich David Berwecke. Die Zeit, in der er erst einmal genug vom Fußball hatte, aber trotzdem auf einige große Momente zurückblicken konnte: „Mit dem HSV habe ich im Finale des Kicker-Pokals gegen 1860 München gespielt. In Emden habe ich mal vor 6.000 Zuschauern gegen Wilhelmshaven um den Aufstieg gespielt. Und bei Bergedorf 85 sind wir im DFB-Pokal gegen den MSV Duisburg angetreten. Auch wenn wir verloren haben – sowas erlebt man nicht jeden Tag“, verdeutlicht der 35-Jährige, der zu HSV-Zeiten sogar mal zu einem Sichtungslehrgang der U21-Nationalelf unter Trainer Hannes Löhr eingeladen wurde. Höhepunkte gibt es also einige als Spieler. Nicht ausgeschlossen, das bald auch die ersten, zugegeben kleineren, als Trainer folgen...

Jan Knötzsch