Landesliga Hansa

Neun-Tore-Spektakel im Giganten-Gipfel: „Jeder Zug hat eine Bremse“ - nur die Eisenbahn nicht!

04. März 2023, 00:14 Uhr

Hischem Metidji (Mi.) bejubelt den 6:3-Erfolg seines ETSV Hamburg im Spitzenspiel gegen Verfolger Düneberg mit den Teamkollegen. Foto: Maurice Herzog

Er bezeichnete das Aufeinandertreffen im Vorfeld als „Jahrhundertspiel“. Eine Partie, „die man als Spieler nicht so oft in seiner Karriere hat“, weiß Dennis Tornieporth genau, wovon er spricht. In insgesamt 127 Drittliga-Spielen (zwölf Tore) stand der Trainer des Düneberger SV während seiner aktiven Laufbahn für Holstein Kiel, den FC St. Pauli, die Kickers Emden und den 1. FC Magdeburg auf dem Platz. Nun fieberte er mit seinem Team dem absoluten Giganten-Duell in der Landesliga Hansa beim nach wie vor unbezwungenen „Krösus“ vom ETSV Hamburg entgegen (alle Highlights im LIVE-Ticker zum Nachlesen). Zwei Mannschaften, die in der Liga das absolute Maß aller Dinge sind. Zwei Teams, die nicht nur die mit Abstand meisten Tore geschossen, sondern auch die wenigen Gegentreffer kassiert haben. Zwei Vereine, die den Rest des Feldes bereits deklassiert und weit hinter sich gelassen haben!

Der Düneberger Anhang hatte nicht nur eine Botschaft im Gepäck, sondern machte auch mächtig Stimmung am Mittleren Landweg. Foto: Maurice Herzog

Soeben hatte Joe Warmbier nach einem ruhenden Ball aus dem Gewühl heraus, das Runde im Eckigen untergebracht, seinem Düneberger SV wieder neues Leben eingehaucht und den 2:3-Anschlusstreffer besorgt (59.), da machte Dennis Tornieporth seinen Mannen von der Seitenlinie noch einmal Mut: „Wir haben nix zu verlieren! Nur einer kann verlieren! Weiter!“, hallte es über den Platz am Mittleren Landweg. Und tatsächlich: Nur wenige Augenblicke später kippte Marvin Möller per Kopf das Momentum nach einer Flanke von Keanu Germer komplett auf die Seite des ärgsten ETSV-Verfolgers - 3:3 (61.)!

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde das Szenario, das die lautstarken und klar in der Überzahl befindlichen Düneberger Anhänger vor dem Giganten-Gipfel auf einem großen Banner bereits ausrollten, immer wahrscheinlicher: „Jeder Zug hat eine Bremse. Auf geht’s, DSV! Put the brakes on!“, hieß es dort. Sollte der Tabellenzweite tatsächlich als erste Mannschaft in der Liga die Bremse der Eisenbahner finden? Die Antwort: Nein! Der Grund: Binnen 180 Sekunden verpasste der unangefochtene Primus dem härtesten Widersacher „den Genickbruch“, wie selbst Tornieporth hinterher konstatieren musste.

Turbulente Schlussphase: Halbes Dutzend sorgt für Zündstoff

Der Strafstoß, der zum 0:1 aus Gäste-Sicht führte: DSV-Keeper Arne Hantusch (re.) soll Damian Ilic zu Fall gebracht haben. Foto: Maurice Herzog

Erst vewertete der eingewechselte Malte Pruchner ein Zuspiel von Hischem Metidji zur abermaligen Führung (77.), ehe der bereits Gelb-verwarnte Arwid Dykier nach einem Klammergriff gegen Veli Sulejmani die Ampelkarte sah (79.). Den folgenden Freistoß nagelte der Gefoulte höchstselbst ansatzlos in den rechten Knick (80.) und sorgte mit seinem zweiten Freistoßtreffer für die Vorentscheidung (80.)! Kurz vor Ultimo machte die Equipe von Trainerduo Huremovic/Märtens das halbe Dutzend voll, als man - nachdem Edmund Baafi im Kampf um den Ball gegen Shabane Sanni die Oberhand behielt, der Düneberger Verteidiger aber verletzt am Boden liegen blieb, woraufhin sein Team das Fußballspielen einstellte - den Angriff zu Ende spielte und Jan Landau nach Querpass von Damian Ilic ins verwaiste Gehäuse zum 6:3-Endstand einschob (88.)!

"Fazit: Der ETSV ist mit diesem Kader eigentlich unschlagbar"

Auch beim zwischenzeitlichen 1:3 durch einen Freistoß von Sulejmani gab Hantusch (Mi.) keine glückliche Figur ab. Foto: Maurice Herzog

Den folgenden Rudelbildungen zum Trotz: Das Tor zählte und sorgte für die endgültige Entscheidung in einem völlig verrückten Spitzenspiel. Ein Spiel, das lange auf des Messers Schneide stand. „Bedo, sag denen mal, die sollen hinten nicht toben. Wir führen 5:3“, rief Jassi Huremovic seinem Außenverteidiger Bedran Atug in der 85. Minute zu - und untermauerte damit das gänzlich wilde Treiben auf dem künstlichen Grün. Denn: Die Zwei-Tore-Führung sorgte nicht für die notwendige Sicherheit. Wie auch schon im ersten Durchgang, als Metidji einen von Arne Hantusch an Ilic versursachten Strafstoß zum 1:0 verwandelte (25.) und Ilic selbst nach Pass von Kusi Kwame davon profitierte, dass Klaas Kohpeiß am Sechzehner niedergerissen wurde (31.).

Der ETSV schien bereits nach 45 Minuten eine Art Vorentscheidung herbeigeführt zu haben, kassierte dann aber das 1:2, als Corvin Behrens mit seiner Hereingabe wohl Möller finden wollte. Doch Josiah Basoah fälschte die Kugel offenbar so entscheidend ab, dass die Tornieporth-Truppe mit einem Erfolgserlebnis in die Kabine gehen konnte (40.). Ein dicker Patzer von Keeper Hantusch (Tornieporth: „Er hatte heute nicht seinen besten Tag“), der einen Sulejmani-Freistoß rechts versetzt vom Sechzehner einfach durch die Hände gleiten ließ (56.), stellte jedoch den alten Abstand wieder her. Und am Ende wurde die Comeback-Mentalität des DSV nicht mit etwas Zählbarem belohnt. „Mein Fazit lautet, dass der ETSV mit dem Kader eigentlich unschlagbar ist“, bilanzierte Tornieporth ganz trocken. „Am Ende hat sich einfach die Klasse vom ETSV durchgesetzt.“

"Man konnte maximal den zweiten Platz im Blick haben"

ETSV-Coach Jassi Huremovic schreit sowohl seine Freude als auch seine Erleichterung heraus - und stand am Ende fast ohne Stimme da. Foto: Maurice Herzog

Man wurde „gepusht, nach vorne getrieben“ und habe „vor der mega Atmosphäre aufopferungsvoll gekämpft“ und sich „dagegen gestemmt“, so der Düneberg-Dompteur. „Ich glaube auch, dass wir im Vergleich zu den letzten Wochen ganz ordentlich gespielt haben. Und es war auch ein bisschen mehr drin. Aber das Gegentor zum 3:4 war dann einfach ärgerlich und im Endeffekt auch der Genickbruch“, befand Tornieporth unmittelbar nach dem Gang in die prall gefüllte Fankurve der Silberberg-Schützlinge am Mittleren Landweg. „Aber wenn man ehrlich ist, konnte man bei dem Kader, den der ETSV hat, auch nur maximal den zweiten Platz im Blick haben. Natürlich wäre das eine schöne Momentaufnahme gewesen, aber der zweite Platz ist das, worauf wir uns konzentrieren müssen.“

"Was die an Qualität auf der Bank haben, da träumen Regionalligisten von"

Am Ende kannte der Jubel bei den nach wie vor unbezwungenen Eisenbahnern keine Grenzen mehr. Foto: Maurice Herzog

Denn der Kampf um die Meisterschaft ist entschieden - zumindest, wenn es nach „Tornie“ geht. „Ich weiß nicht, wer die schlagen soll. Für mich sind die in dieser Liga einfach unschlagbar. Wenn alle mal einen schlechten Tag haben, dann entscheidet das halt ein Spieler von der Bank. Was die allein da an Qualität sitzen haben, da träumen andere Ober- und sogar Regionalligisten von. In so einem Spiel muss jeder Einzelne bei 100 Prozent sein. Wenn nur einer abfällt, ist es fast unmöglich, so ein Spiel für sich zu entscheiden.“

Und schlussendlich ließ der ETSV Hamburg die Muskeln spielen, feierte den Triumph mit lautstarken „Wir sind zusammengekauft“-Sprechchören - und mit der Feststellung: „Der Zug hat keine Bremse!“

Wie sah ETSV-Coach Matthias Märtens das "Ausrufezeichen" und die vermeintliche Titel-Vorentscheidung?

Alle Bilder zum Spektakel in der Galerie von Maurice Herzog!

Autor: Dennis Kormanjos