Spaziergänger, Gebrselassie und die letzten paar Prozent

Schuhwechsel – das große Lauftagebuch | von Dirk Becker

01. Mai 2014, 09:15 Uhr

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Dunkel, trist und ungemütlich war es draußen, als ich mich das letzte Mal an dieser Stelle zu Wort meldete. Mittlerweile zwitschern die Vögel, es ist allerorts grün geworden und mein großes Projekt Marathon nähert sich seinem Wettkampftag. 42, 195 Kilometer am Stück laufen – los geht’s. In Form der Anmeldebestätigung liegt mir dieser Bescheid sogar schriftlich vor. Was habe ich mir da bloß vorgenommen? Ich, der Vollblut-Fußballer!

An Monotonie ist mein sportliches Vorhaben nicht zu überbieten: Keine packende Grätsche, kein fulminanter Torschuss, kein künstlerisches Dribbling (letzteres gehört eigentlich sowieso nicht in mein fußballerisches Portfolio …). Stattdessen vier Stunden am Stück auf Asphalt durch Hamburg tigern – das bedarf eines eisernen Willens und ordentlicher Vorbereitung.

Fester Bestandteil des Trainingsplans sind die sogenannten längeren Läufe. 20, 24, 28 Kilometer. Bisweilen sollte man ein wenig Zeit einplanen und sich sonntags nicht zwangsläufig die allseits beliebte Alsterrunde als sein Laufgehege auswählen. Die Gegenwart etwaiger Spaziergänger, Hundebesitzer, rüstigen Ausflugsrentnern und ehrgeizigen Laufmitstreitern ließ manche Einheit zu anspruchsvollen Slalomübungen verkommen. Für Abhilfe sorgte die weitläufige Anlage des Ohlsdorfer Friedhofs, die in dieser Hinsicht ideale Voraussetzungen bietet. Nichtsdestotrotz: als Laufmekka sollte eine öffentliche Ruhestätte auf Dauer dann auch nicht dienen. Eine traumhafte Kulisse für meine „Feuerprobe“ – 30 Kilometer, die längste Distanz in der Vorbereitung – bot schließlich die Bilderbuchlandschaft an der Schlei, wo mich die steife Briese der nahen Ostsee für den großen Showdown Anfang Mai abhärten sollte.

Ob ich wirklich fit genug für die große Veranstaltung sein werde, ist die Frage, die mich aktuell am meisten beschäftigt. Denn trotz relativ disziplinierter Vorbereitung habe ich nach wie vor immensen Respekt vor der zu absolvierenden Marathondistanz. Gewiss, zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Läufer-Ikone Haile Gebrselassie, die auf seine alten Tage in Hamburg an den Start gehen wollte, wird es nicht kommen. Zum einen weil der Äthiopier kurzerhand absagte, zum anderen, weil dazu meine Qualität schlicht zu begrenzt ist. Alleine das Durchhalten wird für mich schon Herausforderung genug sein. Positiv denken: sollte im Verlauf des Rennens doch der Gedanke ans Aufgeben in mir aufkeimen, muss das Publikum eben die letzten paar Prozent Überwindung aus mir herauskitzeln. Das ist beim Fußball schließlich nicht anders. Und dort bezwingt man mitunter schon ganz andere Gegner als seinen inneren Schweinhund.


Über Dirk Becker:


„Das ist Wahnsinn! Da gibt's Spieler im Team, die laufen noch weniger als ich!“ Toni Polsters wunderschöne Aussage trifft auf unseren Kolumnisten Dirk Becker als aktiven Fußballer nun wahrhaftig nicht zu. Laufen war stets die Grundlage seines (limitierten) Spiels, das er seit dem sechsten Lebensjahr leidenschaftlich betrieb. Nach den Stationen Walddörfer SV, RW Harste (Göttingen) und GW Eimsbüttel legte er im Januar nach 25 Jahren Vereinsfußball eine Pause ein, um sich dem Projekt Marathon zu widmen. Im „Schuhwechsel“ berichtet er über seine Erfahrungen.