Oberliga

Türkiyes Standard-Slapstick: HEBC mit prominentem Supporter, ungewohntem Doppelpacker und „Volley-Raouli“!

17. März 2024, 19:00 Uhr

Malte Wilhelm (re.) behauptet den Ball gegen den späteren "Unglücksraben" Metekaan Yilmaz. Foto: Kormanjos

Als offiziell noch 20 Minuten zu gehen waren, rief Jan Geist, Co-Trainer des HEBC, mit Raoul Bouveron, Gedion Wedemeyer und Semir Demirovic gleich drei Joker lautstark heran. Letzterer erhielt von der Seitenlinie überaus „prominente“ Unterstützung. Vor den Augen seines Bruders Ermedin Demirovic, mit 14 Saison-Treffern für den FC Augsburg geteilter Vierter der Bundesliga-Torjägerliste, wollte und sollte der Linksfuß dem Spiel seiner Eimsbütteler beim Stand von 2:2 nochmal einen entscheidenden Impuls geben – und tat das auch (alle Highlights im LIVE-Ticker)! „Ich freue mich natürlich für ihn, dass er vor den Augen seines Bruders und seiner Familie an zwei Toren maßgeblich beteiligt war“, lobte Özden Kocadal den 23-Jährigen.

Aber nicht nur Demirovic erhielt vom Cheftrainer des HEBC ein Sonderlob: „Ich muss meinen Co-Trainern wirklich ein großes Kompliment machen. Die haben mich heute sehr dazu ermutigt, dass wir den Jungs das Vertrauen schenken und sie bringen. Da habe ich mich wirklich gut beraten gefühlt“, kam der Impuls offenbar von Kocadals Assistenten, das Trio in eben jener Spielphase einzuwechseln. Und am Ende war es weiß Gott nicht nur Demirovic, der die entscheidende Wende herbeiführte. Beide Trainer machten unisono eine Situation als „Knackpunkt des Spiels“ aus.

Yilmaz scheitert am Innenpfosten und verursacht Elfmeter

Semir Demirovic gab dem Spiel nach seiner Einwechslung mit einem verwandelten Elfmeter und der Vorlage zum 4:2 die entscheidende Wende. Archivfoto: noveski.com

Eine Szene, die sich unmittelbar nach dem Dreifachwechsel der Lila-Weißen abspielte. Wahrscheinlich noch im Sortiermodus, ließen die Hausherren einen fest entschlossenen Metekaan Yilmaz zu einem unnachahmlichen Solo ansetzen. Der Abschluss des Wilhelmsburgers donnerte an den rechten Innenpfosten (71.). Die Eimsbütteler schalteten daraufhin blitzschnell um. Auch Yilmaz trat wieder den Rückwärtsgang an – und brachte im eigenen Strafraum Allan Muto zu Fall. Elfmeter! „Da ist er nicht clever genug. Statt ihn einfach zu stellen, reicht so ein ganz leichter Kontakt“, haderte Türkiye-Trainer Erhan Albayrak. Während der kurz zuvor gekommene Demirovic den fälligen Strafstoß ganz lässig mit einem Chip in die Mitte des Tores verwandelte – 3:2 (73.)!

Albayrak moniert dünnen Kader und immense Standardschwäche

„Danach war dann zum Teil der Drops gelutscht. Ich hatte auch nichts mehr von der Bank, um nochmal nachzulegen. Wenn ich mir da HEBC anschaue, dann entscheiden die Bankspieler das Spiel mit“, so Albayrak, der anfügte: „Seitdem ich da bin, habe ich keine Bankspieler – und die brauchst du, um zumindest im Mittelfeld zu stehen.“ Bei den Eimsbüttelern war das einerseits Demirovic, der von Fabian Lemke auf die Reise geschickt wurde, und andererseits auch Raoul Bouveron, der die präzise Flanke per Direktabnahme technisch stark in die Maschen jagte und von seinen Teamkollegen „Volley-Raouli“ getauft wurde (80.)!

Die bis dato gut dagegenhaltenden Wilhelmsburger hatten nun nichts mehr entgegenzusetzen. Hasan Karaca sah offenbar wegen Reklamierens die Ampelkarte (83.). Und Bastian Stech stellte den Endstand her – aber wie? Noch nie in seiner bisherigen Laufbahn dürfte der einstige Regionalliga-Akteur in Folge eines Eckballes so frei zum Abschluss gekommen sein. Ohne jede Gegenwehr konnte Stech den ruhenden Ball von Malte Wilhelm aus der Luft mit der Innenseite ins lange Eck einschießen (84.)! Ein Gegentor per Elfmeter – und am Ende drei nach Standards: Ein Umstand, der Albayrak auf die Palme brachte. „Wir haben wunderschöne Tore geschossen, auf der anderen Seite aber auch unfassbare Geschenke verteilt. Gerade bei Standards, wo wir einfach nicht am Mann dran waren, obwohl alles vorgegeben war und jeder seinen Mann hatte. Und wenn du gegen solche Hünen nicht am Mann dran bist, dann kassiert du halt solche Tore. Genau das wollten wir vermeiden.“

"So viele Tunnler habe ich selten gesehen am Reinmüller"

Janek Wrede überzeugte als ungewohnter Doppeltorschütze für seinen HEBC. Erst per Kopf, dann per Direktabnahme - beide Male nach Standards. Archivfoto: noveski.com

Stattdessen agierte Türkiye bei Ecken oder Freistößen des Gegners vogelwild. „Ich sage es den Spielern immer wieder: Jeder hat nur einen Gegenspieler, keine drei. Es war klar angesagt. Da fehlen dann einfach die Cleverness, die Aufmerksamkeit und die Aggressivität. Damit bringst du dich um den Lohn“, schimpfte der Chefcoach, der einen starken Beginn seines Teams sah, was auch sein Gegenüber registrierte.

„Die ersten zehn, 15 Minuten wollten wir aus einer tieferen Pressinglinie immer wieder Nadelstiche setzen. Ich finde, das hat auch gut geklappt. Wir haben zwei 100-prozentige Torchancen“, sprach Kocadal auf die Möglichkeiten von Christopher Grünewald (3.) und Wilhelm (22.) an. „Und trotzdem liegen wir zweimal hinten. Das ist ein Punkt, an den wir ran müssen, weil wir eine klare Position definiert haben, wo es dann auch mal knallen muss, wenn der Ball da reinkommt. Und das war nicht so. Da sieht man dann auch, was Türkiye kann und was für eine Stärke sie haben. Nämlich dann, wenn sie mal Raum haben, dann haben sie auch schönen Fußball gezeigt. Dann können sie kombinieren, spielen und zocken. So viele Tunnler habe ich selten gesehen am Reinmüller.“ Wenn man „so eine Mannschaft dazu einlädt und es ihr erlaubt, dann schießt sie auch solche wunderschön herausgespielten Traumtore. Da waren wir zu passiv“, fand Kocadal deutliche Worte.

Abwehrchef Wrede glänzt als Doppeltorschütze

Seine Hauptaufgabe ist eigentlich das Verhindern von Gegentoren. Als groß gewachsener und kopfballstarker Innenverteidiger ist Janek Wrede aber auch immer mal wieder eine Option bei offensiven Standards. So auch am Sonntagvormittag, als dem Kapitän des HEBC in der ersten halben Stunde das seltene Kunststück eines Doppelpacks gelang. Erst bewies Wrede nach einer kurz ausgeführten Ecke von Lemke und Wilhelm seine Qualität im Kopfballspiel und nickte schulbuchmäßig zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich ein (6.), ehe er gegen komplett pennende Gäste aus Wilhelmsburg einen perfekt getretenen Lemke-Freistoß per Direktabnahme in die Maschen beförderte (30.)!

"Irgendwann fallen dann solche Teams wie Türkiye"

Türkiye-Trainer Erhan Albayrak (Mi.) baute sein Team nach der Niederlage auf und richtete den Blick bereits auf die kommenden (wichtigen) Aufgaben gegen die direkte Konkurrenz. Foto: Kormanjos

Damit egalisierte der Abwehrspieler einen abermaligen Rückstand in einem anfangs vogelwilden Spiel. Nach mustergültiger Vorarbeit von Karaca schlug Michel Netzbandt eiskalt zu (4.)! Das 1:1 konterte Luis Hacker nach einer Netzbandt-Ablage mit einem wunderschönen Schlenzer aus 18 Metern halblinker Position in den rechten Winkel (14.)! „Es war mal wieder ein interessantes Spiel, wie eigentlich immer bei uns. Ich verstehe nicht, warum wir immer wieder diesen Schlendrian drin haben, dass wir so häufig zurückliegen. Das ist natürlich eine Sache, die wir monieren und auch ansprechen müssen“, konstatierte Kocadal. „Was dann aber besser wurde und auch dazu geführt hat, dass wir mehr Druck ausgeübt haben, war, dass wir viele Standardsituationen und Abschlüsse hatten. Dann fallen irgendwann auch solche Teams wie Türkiye.“

"Erwarte nicht nur, dass wir unseren Stiefel runterspielen - es muss zünden"

Man habe „relativ schnell die Kontrolle übernommen und unseren Stiefel runtergespielt“, befand Kocadal. „Aber genau das ist das Ding. Ich erwarte eben nicht nur, dass wir den Stiefel runterspielen, sondern es muss auch zünden und brennen hier auf‘m Reinmüller. Das haben wir in der Halbzeit angesprochen, dass einige Jungs noch nicht brennen. Sie geben sich Mühe, das hat man auch gesehen. Aber so richtigen Reinmüller-Fußball und richtiges Feuer habe ich nicht gesehen. Das kam dann peu à peu“, ehe es zum von beiden Seiten angesprochenen „Knackpunkt“ kam. „Danach konnten wir es wirklich runterspielen“, bilanzierte der HEBC-Übungsleiter. Während Albayrak trotz der Niederlage längst noch nicht aufgegeben hat: „Wir haben noch die direkten Konkurrenten von unten. Das sind Sechs-Punkte-Spiele. Da müssen wir dann gewinnen!“

Autor: Dennis Kormanjos