Landesliga Hansa

Wacker wackelt, fällt aber nicht – dank „Stefi“ und für „Masi“!

05. August 2023, 01:01 Uhr

Der eingewechselte Yazan Abu Sultaneh (re.) bejubelt seinen zweiten Torerfolg zum zwischenzeitlichen 3:1 beim 5:1-Sieg seines SC V/W Billstedt beim Harburger SC. Foto: noveski.com

Die gesamte Fußballfamilie des SC V/W Billstedt trug in dieser Woche Trauer. „Wir haben einen Freund und Bruder in jungen Jahren verloren“, erinnerte Ümit Taytanli an Maseehla Kohistani, der ganz plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. „Das war wirklich ein ganz schwerer Schlag für uns alle“, hatte der Cheftrainer der Liga-Mannschaft sichtlich mit seinen Emotionen zu kämpfen. Er selbst kickte einst noch an der Seite von Kohistani und sah in ihm „einen ganz besonderen Menschen, der immer für alle da war. Zuletzt war er Leitfigur unserer U23, Mentor und Vaterfigur für die jüngeren Spieler. Gott hab‘ ihn selig!“ Worten, denen man sich nur anschließen kann: Ruhe in Frieden, „Masi“!

Vor dem Spiel hielten beide Teams bei einer Schweigeminute für den viel zu früh verstorbenen Maseehla Kohistani inne. Foto: noveski.com

Die Billstedter machten sich in Shirts mit der Aufschrift „RIP, Masi“ und dessen Konterfei warm. Vor dem Spiel beim Harburger SC (alle Highlights im LIVE-Ticker) wurde eine Gedenkminute abgehalten. Und auch nach den 90 Minuten war das schreckliche und viel zu frühe Ableben von Kohistani bei Taytanli das vorherrschende Thema: „Dieser Sieg gebührt nur ‚Masi‘! Und wenn es nach mir persönlich geht, dann gebühren alle Siege in dieser Saison und in den nächsten zehn Jahren ‚Masi‘. Das ist ein riesiger Verlust für uns – und insbesondere für seine Familie. Denn er hinterlässt auch Frau und Kinder.“

Und damit zum sportlichen Teil: Gerade einmal sechs Zeigerumdrehungen waren am Rabenstein vorüber, als Philip Stefaniuk im Vollsprint zur Seitenauslinie marschierte. „Ich brauch‘ meine anderen Schuhe. Ich lauf‘ Schlittschuhe“, haderte der Torjäger des SC V/W Billstedt in den Anfangsminuten mit seinem Arbeits- und wechselte das Schuhwerk. Keine Viertelstunde später profitierte eben jener Stefaniuk von einem kapitalen Fehlpass von Dennis Kaya im Aufbau und zeigte seine ganze Klasse. Über halblinks ließ er zwei Gegenspieler mit blitzschnellen Körpertäuschungen stehen, zog nach innen und schloss trocken ins lange Eck ab (21.)!

De la Cuesta kommt - und sorgt für Wende

Der bärenstarke Philip Stefaniuk (re.) im Duell mit dem einstigen Oberliga-Recken Tolga Odabas. Foto: noveski.com

Die Führung für den Favoriten aus Billstedt. Aber Stefaniuk war noch immer nicht vollauf zufrieden: „Ey, Jungs – hat jemand von euch Schuhgröße 42,5 oder 43?“, blickte er in Minute 28 fragend in Richtung Auswechselbank. Ob‘s daran lag, dass er noch vor der Pause gleich dreimal an Koray Candan hängenblieb (37., 38., 44.)? Auch Mario Burmester scheiterte freistehend am HSC-Fänger (38.). Gleiches galt für Danijel Suntic mit einem mächtigen Pfund aus der zweiten Reihe (44.). Dazu traf Berkant Özenc den Pfosten (24.). Chancenwucher, der sich rächen sollte?

Mit dem Pausenpfiff bot sich den Reckewell-Rackerern plötzlich die Chance: Ein verunglückter Abschlag von Martinique Hoffmann führte zu einem Freistoß für die Hausherren. Tobias Rüpke köpfte den ruhenden Ball von Dominic Ulaga quer und Motiejus Zibuda setzte zum „Header“ an, wurde aber von Russell Quainoo in höchster Not geblockt (45. +2). Dennoch: Der Aufsteiger witterte im zweiten Abschnitt nochmal seine Chance. Die Einwechslung von Sascha de la Cuesta, von einem Ermüdungsbruch genesen, sorgte für einen ganz anderen Geist. Für eine ganz andere Körpersprache. Und vor allem: Für einen gewissen Glauben.

"Keine Angst haben, Jungs! Vor was?!"

Technisch stark und kaum zu stoppen: Philip Stefaniuk (li.) auf dem Weg zum Billstedter Führungstreffer. Zwei Tore und zwei Vorlagen gingen auf sein Konto. Foto: noveski.com

„Zweite Reihe zu. Den nicht schießen lassen“, wusste auch V/W-Coach Ümit Taytanli um die (Schuss-)Stärke von de la Cuesta. Und der Edel-Techniker trieb seine Mannen nach vorne: „Keine Angst haben, Jungs! Vor was?!“, hauchte der langjährige Oberliga-Kicker seinen Teamkollegen neuen Mut ein. Während Taytanli gut 20 Minuten vor Ultimo anmerkte: „Spielt wieder mehr Fußball. Nicht so krampfhaft nach vorne!“ Gesagt, getan. Nur kurz darauf setzte Stefaniuk – nachdem der HSC wenige Sekunden zuvor eine Abseitsstellung der Gäste reklamierte – zu einem unnachahmlichen Solo an und ermöglichte dem eingewechselten Yazan Abu Sultaneh das vermeintlich vorentscheidende 2:0 (74.)!

Vermeintlich deshalb, weil der HSC einfach nicht aufstecken wollte. De la Cuesta spielte einen zauberhaften Außenristpass auf den startenden Vincent Bürger, der Hoffmann noch nicht überwinden konnte. Aber „Joker“ Mümin Mus stellte seine Torjägerqualitäten unter Beweis – nur noch 1:2 (79.)! Die Harburger schnupperten an einem Zähler, bis kurz vor Ultimo. Dann veredelte Sultaneh eine perfekte Stafette über Steven Lindener und Flankengeber Georg Demircan zum 3:1 (84.)!

"Aus meiner Sicht wird diese Truppe in Hamburg unterschätzt"

Danach war die Luft raus beim Underdog – und „Schuhwechsler“ Stefaniuk hatte noch nicht genug. Erst servierte er Enis Djebbi das 4:1 auf dem Silbertablett (88.), dann veredelte er Sultanehs Vorarbeit höchstselbst zum 5:1-Endstand (90.)! „Es wird die ganze Saison so gehen, dass wir Geduld haben müssen“, hatte die Taytanli-Truppe zu Beginn mit der Fünferkette des Aufsteigers zu kämpfen. Aber auch damit, dass man „ein bisschen unglücklich im Abschluss“ war. „Die Jungs haben das eigentlich gut gemacht, sich drei, vier, fünf Chancen herausgearbeitet. Aber das zweite Tor wollte lange nicht fallen. Dann kommt ein hochmotivierter Gegner immer mehr ins Spiel. Und man muss sagen: Aus meiner Sicht wird diese Truppe in Hamburg unterschätzt. Ich denke, da ist eine Menge Dynamik drin. Wenn man bedenkt, dass da so Leute wie ‚Dela‘ (Sascha de la Cuesta, Anm. d. Red.) noch auf der Bank, gar nicht fit sind und in den nächsten Wochen immer mehr dazustoßen werden.“

"Dass es am Ende so deutlich wird, ist ein bisschen ärgerlich"

Sascha de la Cuesta gab dem Spiel noch einmal neue Impulse und war der Dreh- und Angelpunkt beim Harburger SC in der zweiten Halbzeit. Foto: noveski.com

Die Qualitäten von de la Cuesta im zweiten Durchgang waren offensichtlich. „Der schlägt zwei Bälle, steckt einen durch – und unsere Jungs gucken wirklich zu. Das müssen wir besser machen“, bilanzierte Taytanli, merkte aber auch an: „So lange wir kämpfen und gut gegen den Ball arbeiten, wird es für den Gegner schwer, uns 90 Minuten zu verteidigen.“

Das ging auch den Mannen vom Rabenstein so. Trotz sehr engagierter Vorstellung war schlussendlich nichts zu holen. Nichtsdestotrotz sah Trainer Reckewell „eine wirklich gute Leistung“ von seinen Schützlingen. „Wir waren dran, kriegen dann das 1:3 – und ab da war vorbei. Dass es am Ende noch so deutlich wird, ist ein bisschen ärgerlich und spiegelt das Spiel in meinen Augen auch nicht wider. Aber wir können darauf aufbauen und machen weiter.“ Auch mit einem immer fitter werdenden Sascha de la Cuesta. „Er war ja schon in der letzten Saison unser Dreh- und Angelpunkt. Das ist er jetzt auch. Er hat zwar die komplette Vorbereitung gefehlt. Aber er kommt von Woche zu Woche zu mehr Einsätzen – und das bringt uns dann schon weiter nach vorne.“ Trotzdem müsse man „realistisch bleiben“, betonte Reckewell. „Wir müssen jede Woche um die Punkte kämpfen und uns noch an das Tempo gewöhnen. Die anderen Mannschaften können auch alle Fußball spielen.“

Das zeigte Titel-Anwärter Vorwärts-Wacker an jenem Abend, der ganz im Zeichen von Maseehla Kohistani stand.

Autor: Dennis Kormanjos

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