Oberliga

Algans bittersüße Rückkehr gießt Salz in die Meistersuppe: „Wir mussten heute gewinnen!“

06. April 2024, 20:22 Uhr

Daumen hoch! Mit einem verschmitzten Lächeln feiert Berkan Algan seine erfolgreiche Rückkehr an die "AJK". Foto: noveski.com

Von einer besonderen Genugtuung wollte Berkan Algan nichts wissen. „Um Gottes willen!“, entgegnete der Cheftrainer des ETSV Hamburg nach seiner Rückkehr an die alt-ehrwürdige und von ihm fast schon verehrte Adolf-Jäger-Kampfbahn (alle Highlights im LIVE-Ticker). „Ich gönne diesem Verein, genauso wie jedem anderen Verein, der es verdient hat, die Meisterschaft. Aber wir mussten heute gewinnen“, unterstrich der langjährige Altona 93-Dompteur – und untermalte diese Aussage mit einem breiten Schmunzeln: „Wir haben auch gegen Dassendorf gewonnen. Da wäre es ja nur unsportlich gewesen, wenn wir heute nicht gewonnen hätten“, witzelte Algan, ehe er zum Ernst zurückkehrte. „Ich freue mich immer, wenn ich hier sein kann. Das sind unfassbar tolle Fans, die für eine unfassbar tolle Atmosphäre sorgen! Ich bin stolz darauf, was so ein Stück weit hinterblieben ist – leider in der falschen Liga. Aber ich hoffe, die steigen auf!“

Michael Ambrosius (re.) versucht noch zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Die Kopfball-Bogenlampe von Niklas Kiene zum 0:1 schlägt im langen Eck ein. Foto: noveski.com

Und so machte „Berki“ auch gar keinen Hehl daraus, dass es für ihn „natürlich ein ganz besonderes Spiel“ war. Fast fünf Jahre lang coachte der 47-Jährige den AFC und führte seinen „Herzensverein“ in die Regionalliga. Nach beinahe vierjähriger Abstinenz kehrte Algan erstmals als gegnerischer Trainer an die „AJK“ zurück. 1519 Besucher wollte sich die Rückkehr und das Spiel nicht entgehen lassen. Doch nach insgesamt 98 (!) Minuten war die Ernüchterung groß. Altona 93 musste einen herben Rückschlag im Titelkampf hinnehmen. Und Algan feierte eine bittersüße Rache. „Wir haben verdient gewonnen, weil wir uns taktisch diszipliniert an unsere Ordnung gehalten und viele Facetten, die der Boden hergegeben und unser Spiel gebraucht hat, abgedeckt haben. Darauf sind wir stolz“, strahlte Algan übers ganze Gesicht.

"Natürlich war noch ein bitterer Beigeschmack im Herzen"

Es war eine ganz andere Körperlichkeit, eine komplett andere Präsenz und ein hochgradig anderes Auftreten als am Ostermontag im Pokal-Halbfinale beim USC Paloma (0:2). Der ETSV Hamburg war ganz offensichtlich gewillt, ein rundum anderes Gesicht zu zeigen – und dem AFC in die „Meistersuppe“ zu spucken. „Natürlich war noch so ein kleiner, bitterer Beigeschmack vom Montag im Herzen und überall im Körper. Das war nicht notwendig und das wissen die Jungs auch. Aber so ist Fußball. Fußball ist keine laufende Maschine, sondern wird von Menschen betrieben“, brachte es Algan auf den Punkt.

Ausgerechnet der ehemalige Altonaer Marco Schultz (li.), der zuvor an den Pfosten köpfte, ist als erster Gratulant bei Niklas Kiene. Foto: noveski.com

„Es ist immer ein bisschen schwierig, eine Relation zwischen zwei Spielen zu finden. Man macht das immer ganz gerne. Und klar, haben wir da nicht die notwendige Griffigkeit an den Tag gelegt. Aber das war halt ganz generell ein ganz komisches und schlechtes Spiel, wo du im Grunde genommen aus dem Nichts führen oder eben zurückliegen kannst. Am Ende verliert die Mannschaft, die den einen, blöden Fehler macht. Und das waren wir. Heute war das ein ganz anderes Spiel“, verdeutlichte der Übungsleiter der Eisenbahner – und fügte an: „Es ging ein bisschen mehr darum, spielerische Elemente des Gegners zu lesen und dann geordnet sowie diszipliniert destruktiv zu verteidigen.“ Gesagt, getan.

AFC-Slapstick bei ETSV-Führungstor

Der Oberliga-Primus wirkte ungewohnt fahrig, ideenlos – und vor allem fehlerbehaftet. Bezeichnend: Die beiden Gegentore in den ersten 45 Minuten. Vor dem 0:1 produzierte Gianluca Przondziono nach einem Pfosten-Kopfball des ehemaligen Altonaers Marco Schultz beim Klärungsversuch eine Bogenlampe, die zur Vorlage für Niklas Keine wurde (12.)! Allerdings spielten die Eisenbahner den Treffer auch sehenswert heraus. Nach Ballgewinn von Yannick Siemsen tief in der eigenen Hälfte ging es ganz schnell über Vedat Düzgüner, den starken Max Düwel und abermals Düzgüner, der den Chip gut mitnahm und den Ball scharf auf den zweiten Pfosten brachte, wo Schultz im Sinkflug das Aluminium im Weg stand. Den Abpraller wollte Przondziono aus der Gefahrenzone befördern, leistete damit aber die unfreiwillige Vorarbeit für Keine, dessen ebenso seltsame Kopfball-Kerze im hohen Bogen in das lange Toreck tropfte.

"Die hatten zwei Torschüsse und machen zwei Tore"

Das 2:0: Max Düwel (li.) bestraft einen Fehler von Moritz Grosche gnadenlos und baut die Führung aus. Foto: noveski.com

Das 0:2 aus Hausherren-Sicht ging derweil zu einem ganz großen Teil auf die Kappe von Moritz Grosche, der nach einem Abwurf von Keeper Dennis Lohmann so viel Zeit hatte, aber nahezu doppelt so lange wartete, bis er von gleich zwei Gegenspielern zugepresst wurde. Als Grosche die Kugel endlich spielen wollte, blockte Eudel Monteiro das Spielgerät in den Lauf von Düwel, der vom rechten Fünfereck trocken ins lange Toreck einschweißte (26.)! Auf Nachfrage, warum sein Team das Spiel am Ende verloren habe, entgegnete AFC-Coach Andreas Bergmann: „Das ist relativ einfach zu beantworten: Wir haben gegen einen tief stehenden Gegner, der nur über Kompaktheit, Kontersituationen und Standards gekommen ist, zwei individuelle Fehler gemacht. Die hatten zwei Torschüsse und machen zwei Tore. Das ist einfach so.“

"Das war bezeichnend"

Mit einem kleinen Tänzchen zelebriert Düwel seinen Treffer, der den Vorsprung schon früh verdoppelt. Foto: noveski.com

93 bestand an diesem Fußball-Nachmittag fast ausschließlich aus „Alleinunterhalter“ Przondziono. Wenn es mal gefährlich wurde, dann war der Spielgestalter oft daran beteiligt. Nach seiner maßgeschneiderten Halbfeld-Flanke scheiterte ein am zweiten Pfosten völlig freistehender Veli Sulejmani aus kurzer Distanz per Kopf an Mauro Alcaraz (61.). Przondzionos Freistoß links versetzt vom Sechzehner „küsste“ rechts oben das Quergebälk (67.). Und wenn man einem Torerfolg mal nahe war, dann stand man sich auch gerne mal selbst im Weg. 


Beispiel gefällig: Nach einem ruhenden Ball hatte Steffen Neelsen aus dem Tohuwabohu heraus freie Schussbahn – doch Bujar Sejdija blockte das Leder vor der Linie und verhinderte damit wohl auch den Einschlag im langen Eck (53.). „Das war bezeichnend“, haderte Bergmann.

"Man hatte das Gefühl, wir hätten auch noch eine Halbzeit spielen können"

Hochgradig spektakulär, aber erfolglos: Rasmus Tobinski (li.) zwingt Mauro Alcaraz mit seinem Fallrückzieher zu einer Parade. Foto: noveski.com

Zudem verpasste der aufgerückte Abwehrchef Michael Ambrosius per Kopf nach einer Flanke von Adrian Goransch aus fünf Metern den Anschluss (75.). Es sollte irgendwie nicht sein aus AFC-Sicht. Selbst, als Rasmus Tobinski nach einer eigentlich unerreichbaren Hereingabe von Gideon Baur urplötzlich zum Fallrückzieher ansetzte, Alcaraz zu einer Parade zwang und dafür Szenenapplaus erntete (84.). Doch all das half nichts. „Die haben nur noch hinten dringestanden und dann ist es schwierig, auf diesem Platz immer alles spielerisch zu lösen, obwohl ich spielerisch gar nicht so enttäuscht bin. Denn wir hatten wieder sehr viele Aktionen“, konstatierte der Algan-Nachfolger. 


Wenngleich er auch ziemlich treffend feststellte: „Man hatte heute so ein bisschen das Gefühl, wir hätten auch noch eine Halbzeit spielen können.“ Das Tor war wie vernagelt. Und obwohl, der Vorsprung auf Verfolger Dassendorf am Sonntagvormittag auf ein Pünktchen zusammenschmelzen könnte, zeigte sich Bergmann nach der Pleite „nicht enttäuscht“. Der Grund: „Wir waren wieder die Mannschaft, die agiert und Fußball gespielt hat, uns hat nur das Spielglück gefehlt. Deswegen hake ich das jetzt unter super unglücklich und super blöd ab. Gegen Dassendorf war es ja noch viel schlimmer, wenn du so gekillt wirst. Heute ist das eine Erfahrung, die wir hoffentlich wieder mitgenommen haben.“

"Beleidigungen müssen nicht sein"

In der Nachspielzeit ging es zwischen AFC-Coach Andreas Bergmann (li.) und ETSV-Manager Jassi Huremovic hoch her. Foto: noveski.com

Währenddessen freute sich Algan nach seiner erfolgreichen Rückkehr über den Sieg und den taktischen Schachzug, der voll aufging: „Wir haben uns dem schwer zu bespielenden Boden angepasst“, erwiderte er – und hielt sich in dem Moment, als es zwischen beiden Bänken in der Nachspielzeit noch einmal hoch herging, Bergmann den gelben Karton sah und ETSV-Manager Jassi Huremovic sogar die Ampelkarte bekam, vornehmend zurück. „Die Hitzigkeit war unnötig. Ein Stück weit gehört das dazu, aber beleidigend muss man von der anderen Bank nicht werden. Das sind so tolle Fans, das ist ein so toller Verein – und wir sind alle Sportsmänner. Auch wenn es bitter ist, zu Hause zu verlieren – Beleidigungen müssen nicht sein. Aber wir sind auch da nicht nachtragend, haken das Ding ab und blicken nach vorne“, bilanzierte ein jubelnder Berkan Algan.

Autor: Dennis Kormanjos